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Interview: Andreas Minder
Was Sie heute tun, ist kein Beruf, der einem von der Berufsberatung empfohlen wird – weil es ihn gar nicht
gibt. Wie kamen sie dazu?
Auf Umwegen. Seit dem Kindergarten wollte ich Kinderkrankenschwester werden – wahrscheinlich, weil meine grosse Schwester diesen Beruf gewählt hatte.
Da man damals mit dieser Ausbildung erst mit 18 beginnen konnte, machte ich vorher eine Lehre als
Apothekerhelferin, heute heisst das Fachfrau Apotheke. Ich arbeitete aber keinen Tag in diesem Beruf.
Es war eine anstrengende Übergangslösung. Die Ausbildung zur Kinderkrankenschwester, machte ich dann nicht fertig. Ich bestand eine Prüfung nicht und entschied mich nach anderthalb Jahren, abzubrechen.
Das war mutig und es war richtig. Ich hatte gemerkt, dass die Arbeit und die strenge Hierarchie
im Spital nichts für mich ist. Ich war zu chaotisch und zu aufmüpfig.
Was taten sie stattdessen?
Ich habe erstmal serviert, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen und ging in die Berufsberatung.
Ich schwankte zwischen Schreinerin und Sozialarbeit. Schliesslich entschied ich mich für
Sozialarbeit und dachte schon nach einem halben Jahr, dass Schreinerin vielleicht besser gewesen wäre. Aber dann wurde ich schwanger und fand: Das ziehe ich jetzt durch.
Es war ein gutes Studium, ich habe viel gelernt.
Haben Sie als Sozialarbeiterin gearbeitet?
Ich habe drei, vier Jahre lang ganz klassisch in einem Sozialdienst in Langenthal gearbeitet.
Das war sehr streng und mit viel Papierkram verbunden. Ich habe nicht gern Papier. Danach war ich
lange im Kick in Burgdorf, einer Organisation, die Motivationssemester für Jugendliche anbietet.
Dort bin ich immer mehr in die Ateliers reingerutscht. Ich habe begonnen mit den Jugendlichen «Sachen» wie Schmuck oder Gürtel herzustellen, die wir danach auf dem Markt verkauften.
Brachte Sie das auf die Idee, selber in diesem Bereich tätig zu werden?
Ich habe damals begonnen, zuhause Sachen zu kreieren, ja. Daneben machte ich auch noch die Ausbildung der Stiftung Theodora zum Spitalclown und besuchte zwei, drei Mal die Woche als Clownin Spitäler.
Das klingt nach ausgefüllten Tagen...
Ja, ich war Bereichsleiterin im Kick, ich war Spitalclownin und ich hatte zuhause schon mein kleines «Geschäftli» – plus eine Familie mit zwei Kindern. Ich war einmal nahe an einem Burnout.
Mir wurde klar, dass ich ein Standbein aufgeben musste. Die Wahl fiel auf das Kick.
Das war mit Angst und einigen schlaflosen Nächten verbunden, weil ich damit ein regelmässiges
Einkommen verlor. Aber ich hatte gleichzeitig ein Grundvertrauen und sagte mir:
Ach, das klappt schon. Wir sind damals mit sehr wenig Geld ausgekommen. Und ich hatte die Rückversicherung der Clownerei. Bei Bedarf hätte ich bei den Spitalbesuchen jederzeit aufstocken
können.
Was dann aber scheinbar gar nicht nötig wurde?
Nein, Kitschi ist immer moderat gewachsen, bis heute. Das hat zum einen mit meinen Kreationen zu tun.
Die Läden verkaufen meine Produkte gut. Wobei es nicht überall funktioniert.
Wer Perfektion sucht, wird bei Kitschi nicht fündig. Werkspuren gehören für mich dazu und werden nicht
ausgemerzt.
Was ist der andere Erfolgsfaktor?
Ich verkaufe gut und gern. Ich bin Clownin, ich bin extrovertiert, es gibt Leute, die sagen, ich sei die geborene Verkäuferin. So habe ich mir in der Designwelt einen Namen aufbauen können. Aber lange Zeit wurde ich im Designzirkus nicht ernst genommen. Und es gibt immer noch Messen, bei denen ich nicht auf Anhieb reinkomme. Aber ich bin hartnäckig.
Welche Wachstumsziele haben Sie mit Kitschi?
Letzten Sommer hätte ich drei Mal so viel Raketenglace-Kerzen verkaufen können, wie ich produziert habe. Aber die Manufaktur hat jetzt eine Grösse, mit der ich mich wohlfühle. Mein Partner arbeitet seit letztem Jahr voll bei Kitschi und ist bei mir angestellt. Weitere Angestellte möchte ich aber nicht. Das gibt mir Freiheit. Ich kann so viel Ferien machen, wie ich will. Faktisch macht man das zwar nicht, aber an sich
könnte man. Das ist ein gutes Gefühl. Mittlerweile finde ich es eher schwierig, klein zu bleiben.
Unternehmerinnen wollen in der Regel wachsen. Fühlen Sie sich als Unternehmerin?
Ich bin gern selbständig. Und ich möchte die Lebenshaltungskosten – inklusive jene der Kinder in Ausbildung – bestreiten können. Eine Unternehmerin im Sinn von investieren und grösser
werden bin ich jedoch nicht, nein.
Wenn die Firma grösser wäre, könnten sich auf das konzentrieren, was Sie besonders gern machen, zum
Beispiel neue Produkte entwerfen?
Das fände ich schon schön. Aber ich könnte ein solches Unternehmen nicht führen. Ich wäre den Angestellten wohl keine gute Chefin.
Woher nehmen Sie die Ideen für das wilde Sammelsurium an Kreationen, das sie herstellen?
Ich laufe mit offenen Augen durch die Welt, gehe viel in Museen. Viele Ideen nehmen in Ruhepausen Gestalt an: auf dem WC, beim morgendlichen Joggen mit Hund, im Bett, wenn ich den Schlaf suche. Nur einen Bruchteil davon realisiere ich dann tatsächlich.
Sie sind immer noch als Spitalclownin unterwegs. Was reizt Sie daran?
Es geht dabei nicht um Produkte, nicht um materielle Sachen, sondern um den Moment. Wenn ich in einem Spitalzimmer für einen Augenblick die Schwere wegzaubern kann, ist das unglaublich schön. Das Lachen, Lächeln oder auch das Weinen mit den Kindern und Eltern, die ich dort treffe, berührt mich. Diese
Besuche sind intensiv. Man macht das vier Stunden und ist kaputt.
Wie geht es weiter mit Kitschi und mit Ihnen?
Seit es Kitschi gibt, denke ich jedes Jahr, dass ich dieses Tempo nicht mehr lange durchhalte. Ich möchte etwas weniger arbeiten und das Ganze anders organisieren. Wenn die Kinder ausgeflogen sind, möchte ich mehr reisen. Wir werden sehen. Etwas geht hingegen sicher nicht mehr: Mich anstellen lassen.